Dückerstieg-Inhaber Frank Prüß und Lieferantin Sabine Schneidereit schwören auf frisch vor Ort gepulte Krabben. Foto: Lemm Sorge um den Geschmack der Nordseekrabbe

Gastronom und Koch Frank Prüß plädiert für mehr Sorgfalt beim Umgang mit einem regionalen Produkt von hoher Qualität.

Was wird eigentlich aus der Nordseekrabbe? Diese Frage treibt den Koch und Gastronom Frank Prüß schon seit längerem um. „Wir haben praktisch vor der Haustür ein so tolles regionales Produkt. Aber wir gehen leider damit furchtbar schludrig um“, sagt der Betreiber des   Landgasthauses & Hotel „Zum Dückerstieg“. „Viel zu oft ist das Produkt fast schon völlig wertlos, bevor es in den Handel kommt. Andere Regionen schützen ihre kulinarischen Aushängeschilder viel besser – das beste Beispiel dafür ist die französische Auster.“


In der Tat geht der Umgang mit der Krabbe recht seltsame Wege mit massiven Auswirkungen auf die Qualität. Knackpunkt ist dabei das „Pulen“, also das Trennen der Schale vom Fleisch der auch als Garnele bezeichneten Meeresfrucht. Beim Krabbenpulen wird der Panzer zerbrochen, dann wird erst die eine Hälfte der Schale, dann die andere unter leichtem Drehen abgezogen. Dieser so leicht klingende Vorgang erfordert ein bisschen Übung, aber nach der ersten Handvoll geht es meist leichter. Ohnehin ist das meiste an der Krabbe Schale:  Von drei Kilo Krabben bleibt nur ein Kilo Fleisch übrig. 


Der größte Teil des Nordsee-Fangs wird von einem holländischen Großhändler aufgekauft, per Lkw nach Marokko gebracht und dort per Hand gepult. Nach dem Wiegen wird das Krabbenfleisch in Beutel verpackt, gefüllt mit null Grad kalter Salzlake und Konservierungsmitteln, und wieder zurückgebracht. Erst dann kommt die Ware direkt oder weiterverarbeitet in den Einzelhandel. „Wer weiß, wie eine frische Nordseekrabbe schmeckt, wird ein solches Produkt allerdings nicht mehr anrühren“, sagt Frank Prüß. Eine andere Variante ist das Pulen per Maschine. Prüß: „Dort wird allerdings auch der Geschmack mit ausgespült.“ Zu 90 Prozent müssten  die Krabben mit Konservierungsmitteln haltbar gemacht, denn ohne diese Maßnahme wären sie maximal zwei Tage haltbar – vorsichtig gekühlt ein wenig länger. Aber auch vom Einfrieren hält der Koch gar nicht nichts:  Dadurch würden die Krabben strohig werden. „Außerdem platzen sie beim Auftauen, und der Geschmack läuft praktisch aus.“


Wegen der besseren Qualität schwört der 46-Jährige deshalb auf die Verarbeitung von frischen, vor Ort per Hand gepulten Krabben. „So erhalten sich die Qualität und der hohe Nährwert am besten, sie schmecken frisch und saftig.“  
Das Pulen wird natürlich nicht in seinem Restaurant erledigt, sondern   bei seinem   Lieferanten in Friedrichskoog im Nachbarkreis Dithmarschen. Sabine Schneidereit hat den „Krabbenhandel Schneidereit“ vor 17 Jahren von ihrer Schwiegermutter übernommen. Insgesamt besteht der Betrieb bereits seit mehr als 30 Jahren. Verarbeitet wird dort auch der Fang, den Ehemann Stefan zuvor mit der „Hindenburg“ aus der Nordsee gefischt hat.
Doch die 49-Jährige ist nicht sehr optimistisch, was die Zukunft angeht. „Es wird immer schwieriger, dafür Frauen zu finden, die das machen wollen. Auf diese Art mit dem Produkt umzugehen, wird wohl in näherer Zukunft aussterben“, prophezeit sie. An der gesamten schleswig-holsteinischen Nordseeküste gibt es nur noch einige wenige Betriebe, in denen per Hand gepult wird.


Die Handarbeit macht die Krabbe ohnehin schon teuer. Doch seit etwa eineinhalb Jahren sind die Preise förmlich explodiert, weil den Fischern immer weniger Beute ins Netz geht. Unter „Verdacht“ steht der Wittling, der sich zu einem wesentlichen Teil von Krabben ernährt. Der dorschartige Fisch frisst die Krabben weg, bevor sie groß genug sind für die Netze der Kutter. Im Juni kostete eine Brötchen mit frisch gepulten Krabben hierzulande zwischen acht und neun Euro (in Hamburg mehr), und der Kilopreis liegt im Einzelhandel zwischen 60 und 70 Euro.


Mittlerweile hat Frank Prüß wegen des durch die Decke geschossenen Preises keine Krabbengerichte mehr auf der Speisekarte. Zubereitet werden sie nur noch auf ganz konkrete Nachfrage und wenn die bestellte Menge auch sofort verarbeitet werden kann. Der Preis für das „Krabbenbrot“ läge heute etwa bei 28,50 Euro. „Manche Leute schlucken erst mal, wenn sie den Preis hören. Ich habe aber durchaus viele Kunden, die ein Bewusstsein dafür haben, dass sie dafür auch überragende Qualität bekommen, die es sonst so kaum noch gibt. Es wäre toll, wenn mehr Menschen diese Einsicht gewinnen würden.“
Bei der Zubereitung mag er es sowohl klassisch als auch modern. „Die vielfach bekannte Variante ist ja die mit Bratkartoffeln, aber auch zum Beispiel mit Kohlrabi und Curry schmeckt die Krabbe sehr lecker. Wichtig ist immer, ihr einen guten Geschmacks-Gefährten an die Seite zu stellen, der ihren tollen Eigengeschmack nicht überdeckt.“


Hoffnung gibt es immer, so auch bei der Sorge um die Krabbe – zumindest, was ihre Zahl angeht. Ab August müsste es wieder neuen Nachwuchs geben. Denn dann häuten sich die Garnelen etwa einmal pro Woche und wachsen dabei. Je wärmer die Wassertemperatur ist, umso schneller könnte das gehen. Ab September oder Oktober könnten die Netze der Krabbenfischer also wieder etwas voller sein. „Das hoffen wir alle sehr“, sagt Sabine Schneidereit. „Aber ob die Krabben dann wirklich wieder zahlreicher sein werden, weiß niemand genau.“

Michael Lemm

Frank Prüß
Das Landgasthaus und Hotel „Zum Dückerstieg“ betreibt Frank Prüß (46) gemeinsam mit seiner Frau Inga (46) seit 2007, nachdem er den Betrieb von seinen Eltern übernommen hatte. Im Jahre 2009 kam zudem noch der Hotelbetrieb auf der gegenüberliegenden Straßenseite hinzu. Der Vater einer 17-jährigen Tochter und eines 14-jährigen Sohnes hat sich die Verwendung von regionalen Produkten auf die Fahnen geschrieben. Seit sieben Jahren ist das Restaurant durchgängig mit dem BIB-Gourmand (vom Guide Michelin) ausgezeichnet worden – für sein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis. Zudem wird das Gasthaus in verschiedenen Restaurant-Führern aufgeführt.
An der Nordseekrabbe schätzt er die hohe geschmackliche Qualität, sieht diese aktuell aber stark gefährdet.